TRAVEN IM NETZ

Lässt er sich jetzt fangen?

Wie allen toten Autoren, die nicht untergehen wollen, bleibt auch Traven nichts übrig als mit der Zeit zu gehen.

Er selber hat sein Leben lang die Kommunikationstechnologie, wie sie zu seiner Zeit entwickelt war, zu nutzen verstanden, und wie! Theaterrolle, Flugschrift, Zeitschrift, Buchdruck vor allem, auch Überseedampfer und Postverkehr – er wurde ein ungewöhnlich erfolgreicher Kommunikator, der sich nur nicht greifen lassen wollte, nicht als Absender, nicht in den Kommunikaten selbst. Wo die anderen mit ihren Apparaten zudringlich wurden, siehe Zensur, Verhaftung, Steckbrief, Interpol, Interview, Telefon und die technisch hoch gerüstete Neugier der Traven-Forscher, fand er Wege, sich zu entziehen.

Seit seinem Tod sind alle hinterlassenen Spuren so gut wie schutzlos der Nachforschung preisgegeben. Nirgends anders als im Schutz der Öffentlichkeit können und werden seine Werke überdauern, weiterwirken, weiterhin faszinieren. Die Geheimniskrämerei wird zerpflückt werden; ob bis auf den letzten Rest wird sich erweisen. Die Traven-Gesellschaft ist nicht dazu da, das von ihrem Helden gepflegte Versteckspiel weiter zu kultivieren. Sie wird mit Informationen, mit Tipps und Links, mit „Vernetzung“, so fischig das auch klingen mag, und mit Diskussionen sich dafür einsetzen, die wesentlichen Zusammenhänge seiner Biographie wie seines hinterlassenen Oeuvres durchsichtig zu machen. Mündige Leser/innen lassen sich womöglich eine Weile vom Charme eines ungelösten Rätsels anstacheln; auf die Dauer wollen sie sehen, begreifen, Hand anlegen, sie es auch nur mit und in ihrer Einbildungskraft.

Ihre wirkliche Widerspenstigkeit gegen die Auflösung in eine Serie von Informationen erweisen Travens Texte nicht durch ihr geheimnisvolles Markenzeichen, sondern durch ihre Machart: durch die sorgfältig entwickelte Erzählstrategie, mit der der Autor die Sequenzen seiner ausgedachten Handlungen so verlaufen lässt, dass sie realen gesellschaftlichen Prozessen entsprechen. Nicht das Warenhaus der Erscheinungen breitet er vor uns aus, sondern zieht uns hinein in die mentalen und praktischen Tätigkeiten, mit denen andere gewöhnliche Menschen ihre Umstände in die Hand nehmen und sie dabei, notgedrungen, immer nur ein Stück weit, begreifen. Alexander Kluge hat genau zugesehen, wie das funktioniert (im B. Traven-Buch, 1976). „Damit die Beobachtung nicht nur den Kopf, sondern die Nerven, das Zwerchfell, die Beobachtungsfähigkeit des Lesers sinnlich trifft, versteckt sich der Erfahrungsgehalt in der Grammatik.“ Mit seiner Formel, dass Traven „seine realistische Methode überhaupt nicht aus der Ökonomie des Kapitals, sondern aus der Ökonomie der Arbeitskraft bezieht“, hat Kluge der wissenschaftlichen Beschäftigung wie der mitgehenden Lektüre und dem Austausch darüber einen gehörigen Packen aufgegeben. Wie macht das der Autor? Wie spontan oder bewusst, wie einverstanden oder widerstrebend nehmen wir an den so plausiblen Prozessen, die aber alle um einen Kern des Horrenden oder Absurden kreisen, unseren Anteil? So richtig Kluge beobachtet hat, dass die Ökonomie des Kapitals hier, konsequenter als bei anderen Autoren, verlassen und durchkreuzt wird – geht die Gegenposition darin auf, „Arbeitskraft“ und nichts als Arbeitskraft zu sein? Wo bliebe der Existenzraum und Praxisbereich der Aussteiger, der Vagabunden und Lebenskünstler bei Traven, der Ausgesteuerten, Langzeitarbeitslosen und weltweit Überzähligen heute? Das Zwerchfell aber wirklich nicht zu vergessen, diese „fast unglaubliche Fülle und Dichtigkeit des Witzes“, mit der laut Tucholsky (1930) „das Rad der Erzählung weitergedreht wird“.

In welches praktische Verhältnis wird der tätige und sich reproduzierende Mensch (bei Traven überwiegend männlichen Geschlechts) zu den Absurditäten einer vom Kapital dirigierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gerückt, und wie kommt es, dass dieses gerade nicht zulangende, „nur“ meuternde und schimpfende, verdutzte Verhältnis den Köpfen und Nerven der Leser/innen so viel schärfer zusetzt als die Romanhandlungen der linken Schriftstellerkollegen, in denen die erhoffte Revolutionsbereitschaft schon mal literarisch vorweggenommen wurde? Wie wirkt es sich aus, dass dieser Autor „den Dschungel“ gewählt hat, nicht nur um sich darin zu verbergen, sondern um den anderen Dschungel, in dem gerade seine Leserschaft in den überwiegend gemäßigten Breiten sich befindet, kenntlicher und durchdringlicher zu machen? Welchen Provokations- und welchen Aufklärungswert (man könnte an „Schlag-lichter“ denken) haben die Extremsituationen und die existenzverzehrenden Berufssparten, zu denen B. Traven am liebsten greift?

Vieles ist noch dunkel an den so eingängigen, äußerlich leicht verständlichen Geschichten dieses beliebten Autors. Das zentrale Skandalon, um das er kreist, wird solange unaufgelöst und stachelnd bleiben, wie die Menschheit fortfährt, ihre elementarsten wie ihre vertracktesten Befriedigungen nur als Beiprodukt der Selbstvermehrung der Rendite abzugewinnen. Die Zirkulation von Informationen wird dieses Dunkel nicht wesentlich aufhellen können. Wenn die Travenleser/innen dazu übergehen, das, was sie schockiert, frappiert, zu einer ganz neuen Sicht der Welt gebracht hat, miteinander auszutauschen, könnte es schon entscheidend lichter werden. Ob die Quelle der Finsternis je verstopft wird? „Wer noch lebt, sage nicht niemals!“ (Gorki/Brecht auf ihrem Weg zu B. Traven).

© 2005; Internationale B. Traven Gesellschaft e.V.


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